Montag, 7. März 2005

Die schwarzen Tränen der Sonne

Vorgestern habe ich den ersten Absatz aus diesem Manuskript geposted. Dabei wurde immer wieder die Frage gestellt, worum es in diesem Buch überhaupt ginge.

Der Ich Erzähler Peter Scott, ein alternder Pressefotograf am Ende seiner Karriere, stolpert über den achtjährigen Seth, ein Flüchtling aus dem Irak, der während eines Aufstands im australischen Internierungslager Woomera unbemerkt entkommen kann. Peter ein eigensinniger, sturer aber dennoch liebenswerter Einzelgänger, hat eine Mauer um sich aufgebaut. Immer schon hat er Leid und Katastrophen durch die Linse seiner Kamera auf Film gebannt, ohne sich emotional für die Geschehnisse zu engagieren. Nur durch diese Distanz war es ihm möglich, mit seinen Bildern zu leben.

Seth, getrennt von seinen Eltern und nach drei Jahren Internierungslager völlig verängstigt, vertraut sich nur zögerlich Peter Scott an. Er gehört der Minderheit der Mandäer an. Sein ganzes Leben war Seth der Diskriminierung und den Repressalien Anderer ausgesetzt. Fundamentalistische Islamisten im Iran zwangen Seths Familie zur Flucht. Zuerst nach nach Al'Uzayr am Tigris im Süden Iraks, wo die Familie schnell feststellen musste, dass auch die dortigen Islamisten sie als najis also als unrein und rechtelos betrachten. Die Familie flieht erneut, diesmal mit dem Ziel Australien. In Indonesien besteigen sie ein marodes Boot, das dann vor der Küste Javas sinkt. Seth wird nach zwanzig Stunden von der australischen Marine gerettet und in das südaustralische Internierungslager Woomera gebracht.

In seiner kindlichen Naivität glaubt er sich endlich in Sicherheit, denkt, dass seine Familie ihn hier bald wegholen wird. Nur so schafft er es, die unmenschlichen Zustände im Lager einigermassen zu ertragen. Seth wird in Woomera mit unvorstellbaren menschlichen Tragödien und Schicksalsschlägen konfrontiert. So nimmt sich Noha, Seths Freund und Zimmergenosse, das Leben. Noha ist ein achtzehnjähriger irakischer Junge, der den Druck im Lager nicht mehr gewachsen ist und keine Hoffnung mehr sieht. Ein älteres Pärchen, das sich seiner angenommen hat, näht sich in seiner Gegenwart die Lippen zu, mit der Hoffnung, mit diesem drastischen Hungerstreik die australische Öffentlichkeit auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen.

Seth muss miterleben wie Rebekkah, eine achtzehnjährige Mandäerin, von mehreren fanatischen Muslimen vergewaltigt wird. Sie wollen ihr eine Lektion erteilen. Rebekkah gilt als najis und wagte es, wie von den Aufsehern angeordnet, das Essen zu servieren. Seth wird auch Zeuge mehrerer Aufstände, die von den Behörden gewaltsam beendet werden.
Als er nach und nach realisiert, dass seine Eltern nicht kommen, verliert auch er jede Hoffnung, beschließt aber dann, dass er sich auf die Suche nach seiner Familie machen muss. Im Chaos eines weiteren Aufstands in Woomera gelingt ihm die Flucht.

Peter Scott liest Seth auf und will ihn erst den zuständigen Behörden übergeben, beschließt jedoch zuerst, die Geschichte des Jungen zu erfahren, denn für die Presse sind Besuche in den Lagern, wenn überhaupt, nur unter schärfster Aufsicht möglich. Je mehr er von Seth erfährt, desto schwieriger wird es für ihn, den Jungen wieder nach Woomera zurückzusenden. Letztendlich macht er sich auf die Suche nach Seths Familie.

Hintergrund der Geschichte:

Am 18. Oktober 2001 sticht im kleinen indonesischen Hafen Bandar Lampung ein namenloses Fischerboot in See. Ein alltäglicher Vorgang, doch dieses zwanzig Meter lange und vier Meter breite Boot soll später unter dem Namen SIEV-X (Suspected Illegal Entry Vessel X) traurige Berühmtheit erlangen. Es bietet Platz für maximal fünfzig Passagiere. An diesem Tag drängen sich jedoch über vierhunderteinundzwanzig Asylsuchende aus dem Irak, Afghanistan und dem Iran auf der SIEV-X. Alle haben sie ein Ziel: Australien, das Paradies, dort wollen sie ein neues Leben beginnen.

Um drei Uhr morgens, einundfünfzig nautische Meilen vor der Küste West Javas, sinkt das Boot innerhalb von zwei Minuten. Fünfundsechzig Männer, einhundertzweiundvierzig Frauen und einhundertsechsundvierzig Kinder ertrinken. Nur vierundvierzig Überlebende werden nach zwanzig Stunden von indonesischen Fischern geborgen und in Internierungslager für illegale Einwanderer gebracht.

Die SIEV-X ist kein Einzelfall. Auf dieses Problem wurden die Medien jedoch erst aufmerksam, als der Kapitän des norwegischen Containerfrachters "Tampa" schiffbrüchige Flüchtlinge aus dem Meer fischte und weder Australien noch Indonesien sich für diese Menschen zuständig fühlten. Der medienwirksame Skandal war schnell wieder vergessen und die betroffenen Menschen wurden zu nackten Zahlen einer kalten Statistik.

Das australische System der Zwangsinternierung für »illegalisierte« Immigranten wurde Anfang der neunziger Jahre von der sozialdemokratischen Labour-Party eingeführt. Damals gab es mehr Freiheiten für die Asylsuchenden. Die konservative Howard-Regierung verschärfte die Bedingungen in den Lagern drastisch, vorwiegend um ein Exempel zu statuieren und Asylsuchende abzuschrecken, die gefährliche Reise nach Australien überhaupt in Erwägung zu ziehen. Fast alle Lager liegen weit abseits von größeren Städten im wüstenähnlichen Outback. Kontakt zur Außenwelt ist schwierig. Wenn Medien Zugang zu den Lagern erhalten, was nur selten vorkommt, dann nur unter schärfster Aufsicht. So wenig Informationen wie möglich sollen an die Öffentlichkeit gelangen.

In den Lagern herrschen unvorstellbare Zustände. Die Internierten, ohnehin schon vom Schicksal schwer geschlagen, werden dort bis zu fünf Jahren festgehalten um dann zu erfahren, dass ihr Antrag auf Asyl abgewiesen wurde und sie das Land verlassen müssen. Hungerstreiks, Selbstmorde und Aufstände, die von den Behörden rigoros und vor allem mit unnötiger Brutalität niedergeschlagen werden, sind an der Tagesordnung.

Die Situation in den Internierungslagern hat vor allem den Ruf nach der Freilassung von Kindern lauter werden lassen. Ende 2003 waren fünfhundertzweiundachtzig Kinder in australischen Internierungslagern, darunter dreiundfünfzig ohne jeglichen Schutz von Eltern oder Bekannten.

Die unabhängige »Australian Human Rights Commission« untersuchte im Auftrag der Regierung die Zustände in den Lagern und stellte neben Menschenrechtsverletzungen auch eindeutige Verstöße gegen die 1990 von Australien unterzeichnete UN-Konvention zum Schutz des Kindes fest. Der Bericht wurde zwar im australischen Parlament zur Kenntnis genommen, jedoch als nicht relevant abgetan. Originalzitat:

The government rejects the major findings and recommendations contained in this report. »The government also rejects the Commission's view that Australia's system of immigration detention is inconsistent with our obligations under the United Nations Convention on the Rights of the Child.«
An Zynismus wohl kaum zu überbieten ist die Aussage der australischen Einwanderungsministerin. Senator Amanda Vanstone, Minister for Immigration sagte am 10. Juni 2004:
»To release all children from detention in Australia would be to send a message to people smugglers that if they carry children on dangerous boats, parents and children will be released into the community very quickly!«

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