Sonntag, 14. August 2005

Der eiserne Arsch auf einer Nackten (Eucla - Sydney)


Vier Uhr Morgens, nach einer kurzen Nacht, die Hyosung hat sich bis jetzt wacker geschlagen und fängt an Spaß zu machen. Ein kurzer Check: Öl, Kette, Beleuchtung, Blinker, Brems- und Kühlflüssigkeit, alles in Ordnung. Nur der verbogene Bremsgriff beginnt zu nerven. Und auch der Scottsoiler, der seiner Aufgabe nicht mehr nachkommt, da er von der Werkstatt an der falschen Stelle montiert wurde.


Der Eyre Highway führt jetzt direkt an der bis zu vierzig Meter abfallenden Steilküste entlang. Am Walzentrum im Marinepark Head of Bight tausche ich den defekten Griff aus und nutze diesen nicht eingeplanten Stop, um den rund 150 Walen zuzusehen, die hier jedes Jahr im warmen Wasser der Bucht kalben. Für drei Monate werden die Walbabys von ihren Müttern täglich mit 200 Liter Milch gefüttert, um sie für die 3.000 Kilometer lange Reise in antarktische Gewässer vorzubereiten.


Genug Wale geguckt. Für heute sind 1000 Kilometer ostwärts geplant. Viel zu sehen gibt es auf der Strecke nach Adelaide nicht. Ein Tankstop in Yalta, wo neben Benzin Aboriginal-Kunst verkauft wird, ein Stopp in Ceduna, das mit seinen rund 4000 Einwohnern zumindest die Illusion einer kleinen Stadt erwecken möchte, einer kurzen Pause in Kimba, das genau auf halben Weg zwischen Perth und Sydney liegt. Vorbei an Iron Knob, einem Hügel, der durch den Abbau von Eisenerz um 150 Meter geschrumpft ist, nach Port Augusta und weiter nach Adelaide.

Nach 2.700 Kilometern Einsamkeit wirkt das eigentlich ziemlich verschlafene Adelaide wie eine vibrante Großstadt. Hier funktioniert endlich mein Radio und ich muss mir nicht länger das Geschwätz des Windes anhören. Auf dem ersten Sender, den ich empfange, verspricht ein redseliger Wanderprediger Erleuchtung, wenn ich mich an Jesus wende und ihm eine freiwillige Spende überweise. Adelaide wird seinem Ruf, die Stadt der Kirchen zu sein, gerecht.


Eine heiße Dusche, frische Klamotten und ab an den Strand nach Glenelg, wo ich mir einen Käsekuchen und einen Café Latte gönne. Die Comet parkt direkt zwischen einer Buell und einer brandneuen Ducati. Ich kann es nicht fassen, sie stiehlt den Edelbikes tatsächlich die Show, wenn auch nur kurz."Hyo ... was? Wo kommt die denn her? Sieht nicht schlecht aus das Teil, taugt sie was? Bist du den ganzen Weg von Perth ... ?"


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Die Stadt ist an zwei Seiten von Hügeln umgeben. Hier liegt Hahndorf, ein Ort der verbissen sein deutsches Erbe pflegt, auch wenn es ein wenig wie Disney-Land wirkt. Dahinter findet man im Barossa Valley einige der besten Weine, die Australien zu bieten hat. Die Hyosung liebt die kurzen kurvenreichen Pässe durch die Hügel und will in die Kurven gedrückt werden. Mir ist alles recht, solange es nicht wieder geradeaus geht.


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Die urbane Atmosphäre Adelaides wirkt nach dem Ritt durch die Nullarbor eigenartig unwirklich. Ich kann es kaum erwarten, wieder den Gummi auf den Asphalt zu bringen. 1.700 Kilometer sind es von hier nach Sydney. Das sollte reichen, um im dritten Anlauf das IBA Saddle Sore 1600k Zertifikat zu erreichen. Gut ausgeschlafen mache ich mich am nächsten Morgen auf den Weg.

Die ersten 100 Kilometer geht es gut voran. Danach fange ich jedoch an, an meinem Verstand zu zweifeln und frage mich, warum ich mir das Ganze überhaupt angetan habe: Eine Kaltfront hat beschlossen, auch die Nullarbor zu durchqueren. Bisher war ich ihr voraus. Jetzt ist sie dabei, mich einzuholen. Bis Melbourne kämpfe ich gegen Windböen von bis zu 120 km/h an. Verschlimmert wird das Ganze noch durch fallende Temperaturen und ständig wechselnde Windrichtungen.

Solange der Wind direkt von hinten weht, ist er willkommen. Kommen die Böen jedoch seitlich, oder schräg zur Fahrtrichtung, macht die leichte Comet was immer der Wind ihr befiehlt. Teilweise muss die Maschine so stark in den Wind gedrückt werden, dass ich auf der seitlichen Kante des Sitzes hocke. Der magnetische Tankrucksack macht mehrmals Flugübungen.


Auf den 700 Kilometern bis Melbourne bleiben wieder zwei Stunden liegen. Die Einladung meines Freundes Roberts zum herzhaften Lunch beim Inder ist mehr als willkommen, auch wenn die Kaltfront auf ihrem Weg nach Sydney keine Mittagspause einlegt. Die Route wird wetterbedingt kurzerhand geändert und die Tour, nicht wie geplant der Küste entlang fortgesetzt, sondern über den Hume Highway, eine vierspurige Autobahn, die durch die Snowy Mountains führt. Eingepackt in Long Johns unter den Jeans, Regenkombi über der Lederjacke und darüber noch einen Thermooverall, der angeblich bis -33 Grad die Kälte fernhalten soll, mit Wollhandschuhen und darüber imprägnierten Thermohandschuhen hoffe ich, dem Wetter Paroli zu bieten.

Vergeblich, denn die Front beschließt, auf den restlichen 900 Kilometern den Hume Highway mit strömenden Regen, Schnee und ekeliger Kälte zu beglücken. Die Comet 650 hat damit kein Problem. Ich schon. Nach eineinhalb Stunden gibt die Imprägnierung der Handschuhe auf. Nachdem ich sie nach einem Tankstopp beinahe nicht mehr über die klammen Hände ziehen kann, beschließe ich, Helm und Handschuhe nicht mehr abzunehmen und ernte dafür bei jeder Tankstelle mitleidige Blicke. Die Feuchtigkeit hat mittlerweile ihren Weg unter den Regenkombi gefunden und beginnt sich im Schritt zu sammeln. Außerdem läuft es trotz Überschuhe in die Stiefel. Dagegen helfen auch die festgebundenen Plastiktüten nicht.

Man würde mir ja gerne einen Kaffee anbieten, aber dafür müsste ich den Helm ausziehen. Dankend winke ich ab. Die Unterschrift auf den Kreditkartenbelegen wird zur Tortour.


Als auf halber Strecke der Regen endlich nachlässt, lege ich einen Zahn zu. Doch wieder nur kurz. Schlechtes Wetter und Polizei treten anscheinend in Australien immer gemeinsam auf. Laserpistole, Blaulicht, rote Kelle.

Warum ich mit 130km/h in einer 100 Zone unterwegs sei, will der Constable wissen. Ob es dafür einen triftigen Grund gäbe? Keine Lust auf billige Ausreden, soll er doch den Lappen einkassieren.

Ich ertränke kurzerhand meinen österreichischen Charme in der nächsten Pfütze und erkläre ihm pampig, dass ich seit Adelaide im schlechten Wetter wäre und nur noch so schnell als möglich nach Sydney möchte. Ein heißes Bad, den Fernseher an, Cappuccino und Florentines. Der Gedanke gefällt mir.

Er nimmt meinen Führerschein und verschwindet für zwanzig Minuten in seinem gut geheizten Holden Commodore. Anscheinend überprüft er ganz genau meine Identität und die meiner Maschine. Ich versuche einstweilen meine Handschuhe am heißen Auspuff zu trocknen.

Er ist gründlich, weiß von der Vehicle Defect Compliance Notice seines westaustralischen Kollegens und ermahnt mich den defekten Tachometer so schnell als möglich reparieren zu lassen. Mittlerweile regnet es wieder in Strömen und ich sehe keine Chance mehr, rechtzeitig in Sydney anzukommen. Er belässt es bei einer Verwarnung. Völlig lethargisch setze ich mich auf den Bock. Der Anfang von Rainer Maria Rilkes Cornet geht mir nicht mehr aus dem Sinn:

REITEN, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag. Reiten, reiten, reiten. Und der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht so groß. Es gibt keine Berge mehr, kaum einen Baum. Nichts wagt aufzustehen. Fremde Hütten hocken durstig an versumpften Brunnen. Nirgends ein Turm. Und immer das gleiche Bild. Man hat zwei Augen zuviel. Nur in der Nacht manchmal glaubt man den Weg zu kennen. Vielleicht kehren wir nächtens immer wieder das Stück zurück, das wir in der fremden Sonne mühsam gewonnen haben?


In Mittagong, zirka 100 Kilometer vor Sydney, hört der Regen dann schlagartig auf und das südliche Firmament begrüßt mich in seiner ganzen Pracht. Ich halte an, stelle den Motor aus und nehme den Helm ab. Den Kopf tief im Nacken kann ich mich an den unzähligen Sternen nicht satt sehen. Die Milchstraße ist ganz deutlich zu erkennen, das Kreuz des Südens, Orion. Ich wusste nicht, dass man so viele Sterne mit dem bloßen Auge erkennen kann.

Eine Stunde zu spät für das IBA Zertifikat (Thank you very much Constable) komme ich in Sydney in meinem Hotel an. 1.600 Kilometer in 25 nassen Stunden. Nach einer heißen Dusche und einem kräftigen Frühstück fahre ich nach Kiribilli, um von dort den Sonnenaufgang über Hafenbrücke und Opernhaus zu beobachten.


Die Comet 650 hat den Trip ohne Probleme überstanden. Die Sitzposition erwies sich auch auf dieser langen Tour als entspannt und bequem, der Motor als kräftig und zuverlässig. Das Fahrwerk ist zwar hart und erweckt den Eindruck mehr zu fordern, als es letztendlich tut, ist aber im Grunde gutmütig und steckte so manchen Fehler des Fahrers problemlos weg. Wirklich störend erwiesen sich nur die schlampige Auslieferung und die damit verbundenen Kinderkrankheiten. Um ehrlich zu sein, die kleine Schwarze hat mich für sich gewonnen. Ich werde sie behalten.

Schlechtes Wetter, Highway Patrol, Kängurus und die Öffnungszeiten des Nullabor Hotels haben zwar den Traum vom IBA Zertifikat "Saddle Sore 1600k" zunichte gemacht 4.731,7 Kilometer in 71 Stunden, auch ohne Saddle Sore oder Bun Burner Zertifiakt habe ich meinen eisernen Hintern bewiesen.

Dennoch in ein paar Wochen starte ich einen neuen Versuch. Diesmal reite ich die Nackte 2.500 Kilometer hoch nach Broome und der Küste entlang zurück nach Perth...
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Samstag, 13. August 2005

Der eiserene Arsch auf einer Nackten (Perth - Eucla)

“Daydream Island”, “Sunshine Coast”, “Surfers Paradise”, “Urulu”, ein kurzer Blick auf eine Australienkarte lässt die Phantasie jedes Pauschaltouristen Amok laufen.

Es geht jedoch auch anders: Zwischen den einsamen weißen Stränden des Indischen Ozeans in Perth und der belebten Pazifikküste Sydneys liegt auf einer 15 bis 60m dicken Kalksteinplatte die Nullabor, eine bizarre Landschaft, die selbst bei Stephen King Albträume auslösen würde. Straßen auf denen einen die Einsamkeit findet, deren Suche sich der frenetische Biker zum Ziel gesetzt hat. Eine baumlose Ebene deren Attraktion eben das Fehlen jegwelcher Sehenswürdigkeiten ausmacht. 270.000 km2 - hier lebt niemand, außer den etwas verschrobenen Betreibern der Roadhouses ein paar Kängurus, Kamele und Wombats.

Nullarbor, ein Wort, das klingt, als wäre es von Aboriginals geborgt, stammt aus dem lateinischen: Nullus Arboris, "kein Baum". Edward John Eyre, Abenteurer und Entdecker, prägte diesen Namen. Er durchquerte diese Einöde 1840 als Erster, um einen Landweg für den Viehtrieb zwischen Adelaide und Perth zu finden. Acht Monate waren er und seine vier Begleiter zu Fuß unterwegs. Drei Teilnehmer der Expedition kamen dabei um. Es war Eyre unmöglich, seine verstorbenen Kameraden im harten Boden zu begraben, oder auch nur Steine zu finden, um sie zumindest notdürftig abzudecken.



Hartgesottene Tourenfahrer lassen auf den 4.700 Kilometern von Perth nach Sydney (~5 x die Strecke Garmisch – Flensburg) auch Adelaide und Melbourne rechts liegen und bekommen dabei ihre Überdosis Eisamkeit. Ideale Voraussetzungen für ein Saddle Sore 1600k Zertifikat der Iron Butt Association (IBA) das 1.600 Kilometer in 24 Stunden verlangt. 2000 Kilometer sind es für Saddle Sore 2000k. Etwas schwieriger zu erreichen sind Bun Burner 2500k mit 2.500 Kilometer in 36 Stunden und Bun Burner Gold für das 2.500 Kilometer in 24 Stunden zurückgelegt werden müssen.

Dieser Ritt ist selbst auf einer Tourenmaschine mit Zusatztanks keine Kaffeefahrt. Eine wirkliche Herausforderung ist es allerdings, eine nackte Hyosung Comet 650GT quer durch den roten Kontinent zu prügeln. Die Maschine mit dem 647ccm großen V2 im bulligen Doppelrohrstahlrahmen wurde eigentlich konzipiert, den alltäglichen Stau auf dem Weg zur Arbeit auszutricksen und nicht, um damit quer durch einen Kontinent zu touren. Optisch ist das koreanische Motorrad durchaus ansprechend. Für die geplante Tour wird zusätzlich eine kleine Scheibe montiert, ein Schutzgitter vor dem Kühler befestigt und die für das Outback etwas zu schwache 55/60W Glühbirne des Scheinwerfers durch eine 100/140W ersetzt. Schließlich will ich das Känguru sehen, das mich vom Bock holt.

Um beim Iron Butt Ritt keine bösen Überraschungen zu erleben, wird die Maschine auf einen 1000-Kilometer-Test-Tag im australischen Linksverkehr eingeritten. Die kleine Schwarze überrascht durch gutmütiges Handling, einen drehmomentstarken Motor (68,0 Nm/7.500 U/min), und ein leichtgängiges exaktes Getriebe. Zwischen 3000 bis 7500 Umdrehungen macht das 76 PS starke Triebwerk wirklich Freude und auch darüber gibt sie keinen Anlass für Klagen.

Die Sitzposition ist auch für meine Größe (1,65m) erstaunlich bequem. Sowohl das hintere Federbein als auch die vordere Upside-Down-Gabel sind werkmäßig relativ hart eingestellt, lassen sich aber je nach Vorliebe justieren. Ich mag es hart auch wenn die 650er dadurch und auch wegen meinen leichten 63 kg mit etwas Nachdruck gesteuert werden möchte.

Leider hat der Händler bei der Auslieferung vergessen, die Wachsbeschichtung von den Bremsscheiben zu entfernen. Neue Belege sind angesagt. Außerdem sind alle Seilzüge trocken, der Scottsoiler falsch montiert und der Zug des Chokes aus der Führung gesprungen. Kinderkrankheiten, die durch eine ordentliche Auslieferungskontrolle vermieden hätten werden können.

Die Maschine ist voll getankt, das Gepäck festgezurrt, der Motor warmgelaufen. Die Zeugen sind am Startpunkt und bestätigen den Tachostand sowie die Uhrzeit auf dem Tankbeleg. Für die IBA gelten diese Werte als Start der Tour. Mit "Hit the Road Jack" im Kopfhörer geht es Richtung Sydney. Kein Verkehr auf dem Great Eastern Highway, nur gelegentlich ein Road-Train. Problemlos zieht die GT650 an den bis zu vier Hängern umfassenden Gespannen vorbei, nimmt das Gas dankbar an und überzeugt durch ordentliche Beschleunigung auch aus niedrigen Drehzahlbereichen.

30 Kilometer östlich von Perth liegt die "Darling Range", eine ca. 400m hohe Hügelkette mit den letzten Kurven bis Adelaide. Die ersten 100 Kilometer bis Meckering, das 1968 vom einzigen Erdbeben in Westaustralien erschüttert wurde, sind kein Problem. Danach zieht Morgennebel auf. Es geht nur noch mit quälenden 30 bis 40km/h durch die Suppe, ständig die Angst im Nacken, auf das Heck eines unbeleuchteten Road-Trains aufzulaufen, oder noch schlimmer, ein Road-Train, auf das schwach beleuchtete Hinterteil der Hyosung.

Zu allem Überdruss gibt auch der iPod seinen Geist auf und nur noch der Wind im Helm singt unverständliche Lieder über den Sinn des Lebens, den dieser Reise und den ganzen unbedeutenden Rest. Jeder Atemzug lässt das Visier innen beschlagen und außen sammelt sich die Nässe. Die Sicht tendiert gegen Null und ich überlege ernsthaft, den nächsten Parkplatz anzulaufen und die ganze Sache abzublasen.


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Erst nach dem ersten Tankstop im 300 Kilometer entfernten Merredin lichtet sich der Nebel. Mit zwei Stunden Verspätung geht es entlang der Ende des 19. Jahrhunderts von Charles Yelverton O’Conner gebauten Wasserleitung nach Kalgoorlie. O’Conner wurde ausgelacht, seine Idee einer Wasserleitung von Mundaring Weir in die 600 Kilometer entfernte Goldgräberstadt als Hirngespist abgetan.

Das ist nicht verwunderlich, denn die Idee ist vergleichbar, Hannover über eine Pipeline mit Trinkwasser aus einem Isar Staudamm bei München zu versorgen. Trotzdem gab O’Conner nicht auf. Ihm wurden allerdings so viele Steine in den Weg gelegt, dass er am Ende selbst an dem Projekt zu zweifeln begann. Das Wasser erreichte erst mit zwei Tagen Verspätung Kalgoorlie. Zu spät für O’Conner, der sich eineinhalb Stunden bevor die ersten Tropfen aus seiner Leitung sprudelten, aus Verzweiflung über sein vermeintliches Versagen eine Kugel in den Kopf jagte. Heute noch wird Kalgoorlie mit Wasser aus Perth versorgt.



Jetzt aufgeben kommt nicht in Frage. Die verlorene Zeit lässt sich wieder einholen. Constable Wright, von der Highway-Patrol, ist da allerdings anderer Meinung. Blaulicht im Rückspiegel, rote Kelle, eine geniale Ausrede für 155km/h in einer 110 Zone: “Sorry Constable, mein Tacho spinnt!”, und das ist nicht einmal gelogen, denn die Nadel legt bei höheren Geschwindigkeiten einen fetzigen Twist aufs Ziffernblatt.

Der deutsche Akzent verhindert den Führerscheinentzug und aus zwei Stunden Verspätung werden zweieinhalb. Neben einer Belehrung: “Mate, that’s Australia not a German Autobahn”, stellt er mit zwinkerndem Auge eine Vehicle Defect Compliance Notice aus und schickt die Hyosung in zwei Wochen zum TÜV. Jetzt ist es amtlich: Ein defekter Tacho ist schuld, wenn die Geschwindigkeit überschritten wird. Ein Tropfen Öl in die Tachowelle löst übrigens dieses Problem.

Der Benzinverbrauch steigt bei Geschwindigkeiten über 140km/h überproportional an. Kommen die zwei L-förmig angeordneten Zylinder der 650er mit dem 17 Liter Tank sonst bis zu 340 Kilometer weit, schreit die gelbe Warnleuchte jetzt schon nach 250 Kilometern nach einer neuen Füllung bleifreien Normalbenzins. Bis zur nächsten Tankstelle in Coolgardie reicht selbst mit ökonomischen 80km/h der Sprit nicht mehr. Es wäre nicht erquicklich, hier mitten im Outback mit einem leeren Tank liegen zubleiben.

Benzin hätte er nicht, so ein Ingenieur, der die Wasserleitung kontrolliert. Diesel aus seinem Toyota Landcruiser könne er anbieten. In Bullabulling gäbe es aber eine Art Roadhouse, meistens allerdings geschlossen. Das historische Gebäude sei 120 Jahre alt und bewohnt. Wenn ich den sonderlichen Kauz, der dort haust, nett bäte, verkaufe er sicher auch etwas Sprit, meint er und wünscht viel Glück.

Anscheinend hole ich den Tankwart aus dem Bett. Entsprechend mies ist seine Stimmung. Nachdem er mit einem Apfel und eine Banane aus meinem Lunchpaket freundlich gestimmt wird, füllt er nach längerer Verhandlung 16,8 Litern Sprit in den 17 Liter Tank.


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Die für Coolgardie geplante Essenspause fällt aus und auf der für australische Verhältnisse recht kurvenreichen Strecke nach Norseman (=alle 20 Kilometer eine leichte Biegung) hole ich wieder eine halbe Stunde auf. Hier beginnt der unwirkliche Teil des Eyre Highway, der sich über 1.300 Kilometer beinahe schnurgerade durch die Nullarbor zieht. Keine Kreuzung, keine Stadt, nur ein paar Roadhouses an denen man Benzin und etwas zu Essen bekommt, oder auch ein Zimmer für eine Nacht mieten kann.



57 Minuten brauche ich für die 195 Kilometer nach Balladonia, dem ersten Roadhouse auf dem Eyre Highway. Den Gasgriff am Anschlag, den Kopf tief hinter der kleinen Scheibe, zeigt der Tacho ungemütliche 213km/h an. Um die 200km/h Marke beginnt das Vorderrad der Comet leicht zu tanzen. Dieses Schwingen lässt sich leicht abstellen, indem man die Geschwindigkeit kurz unter 190km/h drosselt oder mit beiden Händen fest gegen den Lenker drückt.

1979 verteilte in Balladonia das Skylab der NASA beim Wiedereintritt seine Einzelteile im Busch. Der amerikanische Präsident Jimmy Carter rief persönlich bei Bob Bongiorno, dem Besitzer des Roadhouses an, um sich zu entschuldigen. Die zuständige Stadtverwaltung von Dundas stellte der NASA prompt Strafzettel über 400 australische Dollar für ordnungswidriges Abladen von Sperrmüll im Busch aus. Man wusste ja in diesem Fall eindeutig wer der Übeltäter war.


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Die Strecke von Balladonia nach Caiguna ist selbst für die Nullarbor etwas Besonderes. 90 Miles straight, 147 Kilometer ohne Kurve die längste gerade Strecke Australiens. Wie mit einem Lineal gezogen, zieht sich das Asphaltband bis zum Horizont.

Das Geschwätz des Windes beginnt zu nerven. Die immer gleiche flache Landschaft besorgt den Rest. Ein Kamel, das auf den Highway springt oder das überdimensionale Känguru am Straßenrand entpuppen sich als seltsam gewachsene Vegetation und sorgen für Schrecksekunden mit kurzfristigem Anstieg des Adrenalinspiegels. Ich bin eindeutig zu lange im Sattel.

Die Kalksteinplatte der Nullarbor ist von einem komplexen Höhlensystem durchzogen. Temperatur- und Druckunterschiede bewirken, dass die Nullarbor Luft an den Höhleneingängen ansaugt oder ausbläst. Die Aboriginals glauben, dass hier der Atem Mutter Erdes zu spüren sei und tatsächlich haben diese Blowholes, wie das in Caiguna direkt neben dem Highway liegende, beinahe etwas Mystisches.

Bei einer Pinkelpause kurz vor Cockelbiddy springt ein Kamel aus dem Nichts und stößt die parkende Maschine um. Danach stürzt es sich auf mich und jagt mich durch den nicht vorhandenen Busch. Kamele sind doch Pflanzenfresser, oder?

Okay, okay, ich gebe zu, aus Dummheit und völlig ungeschickt habe ich selbst die Mühle in den Dreck geschmissen. Das Resultat: ein verbogener Bremsgriff. Gott sei Dank ist er nicht gebrochen.

Was ist Zeit, was Gravitation? Was wäre, wenn ich am Ende eines Lichtstrahls reisen würde? Was war vor dem Urknall? Gab es davor eigentlich Zeit, oder gab es überhaupt kein "Davor", weil ohne Zeit ein "Davor" auch nicht existiert? Nach 14 Stunden seltsamer Gedanken holt mich die Abenddämmerung ein.



Bill, der am Madura Pass (75m Seehöhe) das Roadhouse betreibt, warnt vor den besten Freunden der Karosseriespengler: Kängurus. Auch Wombats und Kamele sollen dieses Jahr ziemlich schlimm sein.

Zum Glück habe ich Animal Repeller angebracht, Plastikteile, die durch den Fahrtwind ein hochfrequentes Pfeifen erzeugen, das die Tiere vertreiben soll. Die Kängurus sind davon jedoch völlig unbeeindruckt. Einige springen unmotiviert kurz vor dem Motorrad auf die Straße, als würden sie eine Art russisches Roulette spielen. Andere starren die Comet bloß vom Straßenrand aus an und wundern sich, was für ein Spinner hier auf einer nackten Straßenmaschine durch den Busch fährt.

Und dann sind noch die, die versuchen die Maschine zu jagen und wie verrückt hinterher hüpfen. Keine angenehme Vorstellung, sollte mich eines dieser bis zu150kg schweren Tiere hier mitten im Nirgendwo aus dem Sattel holen. Trotz aufgemotztem Scheinwerfer geht es nur noch mit frustrierenden 50 bis 60km/h voran.



Immer noch zwei Stunden hinter meinem Zeitplan, erreiche ich die Grenze zwischen West- und Südaustralien. Für einen Abstecher zur alten Telegrafenstation in Eucla ist es zu spät. In Bordervillage werde ich von einem Grenzbeamten angehalten und mein Gepäck nach Obst und Gemüse durchsucht. Man befürchtet, Fruchtfliegen könnten nach Südaustralien eingeschleppt werden. Sorry Buddy, aber mein Apfel und meine Banane ...

Nur noch 100 Kilometer für den "Eisernen Arsch" auf der Nackten. Ein Anruf im Nullabor Hotel, das um Mitternacht schließt, soll die Buchung bestätigen. Dummerweise wird die Uhr an der Grenze umgestellt. Eineinhalb Stunden Zeitdifferenz bedeutet 23:48 in Südaustralien. Keine Chance noch rechtzeitig anzukommen. Der Betreiber des Roadhouses lässt sich nicht erweichen zu warten, um den Ritt für die IBA zu bezeugen.

Nach rund 1.600 Kilometer in 17h, ganz knapp vor dem Ziel, gebe ich auf. Bleibt nur die Strecke von Adelaide nach Sydney, um mich für das Zertifikat zu qualifizieren.
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