Sonntag, 14. August 2005

Der eiserne Arsch auf einer Nackten (Eucla - Sydney)


Vier Uhr Morgens, nach einer kurzen Nacht, die Hyosung hat sich bis jetzt wacker geschlagen und fängt an Spaß zu machen. Ein kurzer Check: Öl, Kette, Beleuchtung, Blinker, Brems- und Kühlflüssigkeit, alles in Ordnung. Nur der verbogene Bremsgriff beginnt zu nerven. Und auch der Scottsoiler, der seiner Aufgabe nicht mehr nachkommt, da er von der Werkstatt an der falschen Stelle montiert wurde.


Der Eyre Highway führt jetzt direkt an der bis zu vierzig Meter abfallenden Steilküste entlang. Am Walzentrum im Marinepark Head of Bight tausche ich den defekten Griff aus und nutze diesen nicht eingeplanten Stop, um den rund 150 Walen zuzusehen, die hier jedes Jahr im warmen Wasser der Bucht kalben. Für drei Monate werden die Walbabys von ihren Müttern täglich mit 200 Liter Milch gefüttert, um sie für die 3.000 Kilometer lange Reise in antarktische Gewässer vorzubereiten.


Genug Wale geguckt. Für heute sind 1000 Kilometer ostwärts geplant. Viel zu sehen gibt es auf der Strecke nach Adelaide nicht. Ein Tankstop in Yalta, wo neben Benzin Aboriginal-Kunst verkauft wird, ein Stopp in Ceduna, das mit seinen rund 4000 Einwohnern zumindest die Illusion einer kleinen Stadt erwecken möchte, einer kurzen Pause in Kimba, das genau auf halben Weg zwischen Perth und Sydney liegt. Vorbei an Iron Knob, einem Hügel, der durch den Abbau von Eisenerz um 150 Meter geschrumpft ist, nach Port Augusta und weiter nach Adelaide.

Nach 2.700 Kilometern Einsamkeit wirkt das eigentlich ziemlich verschlafene Adelaide wie eine vibrante Großstadt. Hier funktioniert endlich mein Radio und ich muss mir nicht länger das Geschwätz des Windes anhören. Auf dem ersten Sender, den ich empfange, verspricht ein redseliger Wanderprediger Erleuchtung, wenn ich mich an Jesus wende und ihm eine freiwillige Spende überweise. Adelaide wird seinem Ruf, die Stadt der Kirchen zu sein, gerecht.


Eine heiße Dusche, frische Klamotten und ab an den Strand nach Glenelg, wo ich mir einen Käsekuchen und einen Café Latte gönne. Die Comet parkt direkt zwischen einer Buell und einer brandneuen Ducati. Ich kann es nicht fassen, sie stiehlt den Edelbikes tatsächlich die Show, wenn auch nur kurz."Hyo ... was? Wo kommt die denn her? Sieht nicht schlecht aus das Teil, taugt sie was? Bist du den ganzen Weg von Perth ... ?"


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Die Stadt ist an zwei Seiten von Hügeln umgeben. Hier liegt Hahndorf, ein Ort der verbissen sein deutsches Erbe pflegt, auch wenn es ein wenig wie Disney-Land wirkt. Dahinter findet man im Barossa Valley einige der besten Weine, die Australien zu bieten hat. Die Hyosung liebt die kurzen kurvenreichen Pässe durch die Hügel und will in die Kurven gedrückt werden. Mir ist alles recht, solange es nicht wieder geradeaus geht.


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Die urbane Atmosphäre Adelaides wirkt nach dem Ritt durch die Nullarbor eigenartig unwirklich. Ich kann es kaum erwarten, wieder den Gummi auf den Asphalt zu bringen. 1.700 Kilometer sind es von hier nach Sydney. Das sollte reichen, um im dritten Anlauf das IBA Saddle Sore 1600k Zertifikat zu erreichen. Gut ausgeschlafen mache ich mich am nächsten Morgen auf den Weg.

Die ersten 100 Kilometer geht es gut voran. Danach fange ich jedoch an, an meinem Verstand zu zweifeln und frage mich, warum ich mir das Ganze überhaupt angetan habe: Eine Kaltfront hat beschlossen, auch die Nullarbor zu durchqueren. Bisher war ich ihr voraus. Jetzt ist sie dabei, mich einzuholen. Bis Melbourne kämpfe ich gegen Windböen von bis zu 120 km/h an. Verschlimmert wird das Ganze noch durch fallende Temperaturen und ständig wechselnde Windrichtungen.

Solange der Wind direkt von hinten weht, ist er willkommen. Kommen die Böen jedoch seitlich, oder schräg zur Fahrtrichtung, macht die leichte Comet was immer der Wind ihr befiehlt. Teilweise muss die Maschine so stark in den Wind gedrückt werden, dass ich auf der seitlichen Kante des Sitzes hocke. Der magnetische Tankrucksack macht mehrmals Flugübungen.


Auf den 700 Kilometern bis Melbourne bleiben wieder zwei Stunden liegen. Die Einladung meines Freundes Roberts zum herzhaften Lunch beim Inder ist mehr als willkommen, auch wenn die Kaltfront auf ihrem Weg nach Sydney keine Mittagspause einlegt. Die Route wird wetterbedingt kurzerhand geändert und die Tour, nicht wie geplant der Küste entlang fortgesetzt, sondern über den Hume Highway, eine vierspurige Autobahn, die durch die Snowy Mountains führt. Eingepackt in Long Johns unter den Jeans, Regenkombi über der Lederjacke und darüber noch einen Thermooverall, der angeblich bis -33 Grad die Kälte fernhalten soll, mit Wollhandschuhen und darüber imprägnierten Thermohandschuhen hoffe ich, dem Wetter Paroli zu bieten.

Vergeblich, denn die Front beschließt, auf den restlichen 900 Kilometern den Hume Highway mit strömenden Regen, Schnee und ekeliger Kälte zu beglücken. Die Comet 650 hat damit kein Problem. Ich schon. Nach eineinhalb Stunden gibt die Imprägnierung der Handschuhe auf. Nachdem ich sie nach einem Tankstopp beinahe nicht mehr über die klammen Hände ziehen kann, beschließe ich, Helm und Handschuhe nicht mehr abzunehmen und ernte dafür bei jeder Tankstelle mitleidige Blicke. Die Feuchtigkeit hat mittlerweile ihren Weg unter den Regenkombi gefunden und beginnt sich im Schritt zu sammeln. Außerdem läuft es trotz Überschuhe in die Stiefel. Dagegen helfen auch die festgebundenen Plastiktüten nicht.

Man würde mir ja gerne einen Kaffee anbieten, aber dafür müsste ich den Helm ausziehen. Dankend winke ich ab. Die Unterschrift auf den Kreditkartenbelegen wird zur Tortour.


Als auf halber Strecke der Regen endlich nachlässt, lege ich einen Zahn zu. Doch wieder nur kurz. Schlechtes Wetter und Polizei treten anscheinend in Australien immer gemeinsam auf. Laserpistole, Blaulicht, rote Kelle.

Warum ich mit 130km/h in einer 100 Zone unterwegs sei, will der Constable wissen. Ob es dafür einen triftigen Grund gäbe? Keine Lust auf billige Ausreden, soll er doch den Lappen einkassieren.

Ich ertränke kurzerhand meinen österreichischen Charme in der nächsten Pfütze und erkläre ihm pampig, dass ich seit Adelaide im schlechten Wetter wäre und nur noch so schnell als möglich nach Sydney möchte. Ein heißes Bad, den Fernseher an, Cappuccino und Florentines. Der Gedanke gefällt mir.

Er nimmt meinen Führerschein und verschwindet für zwanzig Minuten in seinem gut geheizten Holden Commodore. Anscheinend überprüft er ganz genau meine Identität und die meiner Maschine. Ich versuche einstweilen meine Handschuhe am heißen Auspuff zu trocknen.

Er ist gründlich, weiß von der Vehicle Defect Compliance Notice seines westaustralischen Kollegens und ermahnt mich den defekten Tachometer so schnell als möglich reparieren zu lassen. Mittlerweile regnet es wieder in Strömen und ich sehe keine Chance mehr, rechtzeitig in Sydney anzukommen. Er belässt es bei einer Verwarnung. Völlig lethargisch setze ich mich auf den Bock. Der Anfang von Rainer Maria Rilkes Cornet geht mir nicht mehr aus dem Sinn:

REITEN, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag. Reiten, reiten, reiten. Und der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht so groß. Es gibt keine Berge mehr, kaum einen Baum. Nichts wagt aufzustehen. Fremde Hütten hocken durstig an versumpften Brunnen. Nirgends ein Turm. Und immer das gleiche Bild. Man hat zwei Augen zuviel. Nur in der Nacht manchmal glaubt man den Weg zu kennen. Vielleicht kehren wir nächtens immer wieder das Stück zurück, das wir in der fremden Sonne mühsam gewonnen haben?


In Mittagong, zirka 100 Kilometer vor Sydney, hört der Regen dann schlagartig auf und das südliche Firmament begrüßt mich in seiner ganzen Pracht. Ich halte an, stelle den Motor aus und nehme den Helm ab. Den Kopf tief im Nacken kann ich mich an den unzähligen Sternen nicht satt sehen. Die Milchstraße ist ganz deutlich zu erkennen, das Kreuz des Südens, Orion. Ich wusste nicht, dass man so viele Sterne mit dem bloßen Auge erkennen kann.

Eine Stunde zu spät für das IBA Zertifikat (Thank you very much Constable) komme ich in Sydney in meinem Hotel an. 1.600 Kilometer in 25 nassen Stunden. Nach einer heißen Dusche und einem kräftigen Frühstück fahre ich nach Kiribilli, um von dort den Sonnenaufgang über Hafenbrücke und Opernhaus zu beobachten.


Die Comet 650 hat den Trip ohne Probleme überstanden. Die Sitzposition erwies sich auch auf dieser langen Tour als entspannt und bequem, der Motor als kräftig und zuverlässig. Das Fahrwerk ist zwar hart und erweckt den Eindruck mehr zu fordern, als es letztendlich tut, ist aber im Grunde gutmütig und steckte so manchen Fehler des Fahrers problemlos weg. Wirklich störend erwiesen sich nur die schlampige Auslieferung und die damit verbundenen Kinderkrankheiten. Um ehrlich zu sein, die kleine Schwarze hat mich für sich gewonnen. Ich werde sie behalten.

Schlechtes Wetter, Highway Patrol, Kängurus und die Öffnungszeiten des Nullabor Hotels haben zwar den Traum vom IBA Zertifikat "Saddle Sore 1600k" zunichte gemacht 4.731,7 Kilometer in 71 Stunden, auch ohne Saddle Sore oder Bun Burner Zertifiakt habe ich meinen eisernen Hintern bewiesen.

Dennoch in ein paar Wochen starte ich einen neuen Versuch. Diesmal reite ich die Nackte 2.500 Kilometer hoch nach Broome und der Küste entlang zurück nach Perth...

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